CORONA INTENSIVSTATION
Ein Laie begleitet die Pflege - eine Fotoreportage
”Es gibt Erfahrungen, die vergisst man wahrscheinlich niemals. Eine Corona-Intensivstation gehört dazu. Es ist sehr beeindruckend, was das medizinische Personal dort seit 20 Monaten leistet.
Hendrik StoltenbergFotograf
Die Erfahrungen der zwei Tage habe ich schriftlich festgehalten. Schnell kam der Gedanke, dass Text und Fotos separat vielleicht zu wenig sind. Zusätzlich habe ich diesen Text für meinen Podcast SALZ im OHR vorgelesen. Die Erfahrung so greifbar wie möglich zu machen, schafft vielleicht ein Video mit zusätzlicher Atmosphäre der Geräte. Nun ist es machbar die Fotos anzuschauen und dabei die Erfahrung vorgelesen zu bekommen. Ich hoffe dadurch wird es noch plastischer.
Corona-Intensivstation
Ein Laie begleitet die Pflege – eine Fotoreportage
Zwei Tage auf einer Corona-Intensivstation. Eine Erfahrung, die ihresgleichen sucht. Dies ist ein Text über meiner Erfahrungen der zwei Tage. Es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und es kann sein, dass es nicht zu 100 % korrekt ist. Ich bin kein Mediziner und kein Experte, was die Betreuung von Corona-PatientInnen betrifft. Ich bin Laie. Dieser Text spiegelt lediglich meine Erfahrung wider.
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Ein Start ins Ungewisse
Anfang Januar durfte ich für zwei volle 12-Stunden Schichten die Pflege der internistischen Intensivstation im Landeskrankenhaus Salzburg begleiten. Der Grund ist recht simpel: Ich möchte die Arbeit des Personals dort zeigen – fotografisch und irgendwie auch Danke sagen an das Personal, welches seit fast zwei Jahren außerordentliches leistet.
Nach der Erfahrung dieser 24 Stunden auf der Intensivstation bin ich um viele Eindrücke und Fragen reicher. Von den sieben PatientInnen, die dort lagen, hatte eine Person die 1. Impfung. Alle anderen hatten keinen Impfschutz, waren RisikopatientInnen sind zum Teil sogar Impfgegner. Was denkt man als Pflegepersonal nach 20 Monaten Pandemie? Wie kann man mehr Angst vor der Impfung haben als vor der Intensivstation? Und wenn man selbst glaubt, man ist immun gegen einen schweren Verlauf oder Long Covid, hat man keine Angst andere anzustecken? Es scheint, als leben wir in einer Zeit, in der sich die Welt nur um uns selbst dreht. In einer Pandemie wäre mehr Rücksicht für unsere Gesellschaft und ein gesamtgesellschaftliches Wohlergehen wünschenswert.
Ein Ort an den man nicht sein sollte
Nun durfte ich eine der intensivsten Erfahrung meines Lebens machen: Fotografieren auf einer Intensivstation – ein Ort zu dem man normalerweise keinen Zutritt hat. Solange man nicht auf einer Intensivstation arbeitet, dort PatientIn ist oder Angehörige besucht, gehört man hier schlichtweg nicht hin. Ich habe die Erlaubnis als großes Privileg betrachtet und war sehr gespannt, was mich dort erwarten würde.
Konstant präsent war das Gefühl, an diesem Ort nicht hinzugehören. Zusätzlich, wie unpassend es ist schwer kranke Menschen zu fotografieren und damit geht leider ein wichtiger Aspekt verloren: Die Arbeit der PflegerInnen und ÄrztInnen besteht darin, die PatientInnen zu betreuen. Man kann, ohne die Personen im Bett zu zeigen, die Intensität der Arbeit nur sehr schwer darstellen. Diese Art der Intensivmedizin ist so aufwändig und so nah am Menschen, dass bedauerlicherweise ein wichtiger Teil fotografisch so nicht abbildbar ist.
Machtlose Medizin
Die aktuelle Medizin antwortet auf das Coronavirus rein symptomatisch. Das Problem ist: Der Virusbefall der Lunge resultiert nicht sofort in einer Atemnot. Die zu niedrige Sauerstoffsättigung im Blut wird oft erst sehr spät bemerkt, weshalb erkrankte Menschen zu spät ins Krankenhaus kommen. Dann werden allerlei Maßnahmen ergriffen, aber ein wirkliches Mittel gegen Corona gibt es bisher nicht. Man kommt in die Klinik, da man sehr schlecht Luft bekommt. Dieser Zustand wird immer schlimmer – so schlimm, dass eine Sauerstoffzugabe irgendwann nicht mehr ausreichend ist und die Menschen aus eigener Kraft nicht mehr atmen können. Das Problem am “schlecht Luft kriegen” ist, dass es sehr große Angst macht und man meistens panisch darauf reagiert, dadurch entsteht eine Abwärtsspirale und der Zustand verschlechtert sich noch schneller.
Bis zu dem Punkt an dem man an eine ECMO (= Externe Sauerstoffanreicherung des Blutes) angeschlossen wird. Die Maschine übernimmt die Aufgabe der Lunge und dazu muss man sehr stark sediert werden. Spätestens ab jetzt ist man von intensivster Betreuung abhängig. Es ist wirklich bedrückend Menschen in diesem Zustand zu sehen. An gefühlt hunderte Schläuche angeschlossen, angewiesen auf zahlreiche Medikamente, die darüber in den Körper gelangen – das ist schockierend, für einen medizinischen Laien wie mich aber auch faszinierend. Dort liegen Menschen, die auf 100%ige Hilfe angewiesen sind, fast so als wären sie erst ein paar Monate auf dieser Welt. Und dann ist dieser Gedanke immer im Hinterkopf, dass diese Personen mit einer Impfung höchst wahrscheinlich hier nicht liegen würden.
Was die Pflege leistet, ist außerordentlich
Zu sehen welcher Aufwand hinter der Betreuung steckt, hat mich fast am meisten überrascht. Dazu gehören ganz banale Aufgaben wie das Bett neu beziehen, Haare kämmen, Lippenbalsam auftragen und Augentropfen verabreichen, da man sediert zu wenig blinzelt. Aber dazu gehört auch die Säuberung der verschiedenen Zugänge wie des zentralen Venenkatheters, der künstlichen (trachealen) Beatmung, sowie das Leeren der Urinbeutel, das Waschen der PatientInnen, das Austauschen der Nahrungsmittel, das Absaugen der Lunge, die Erneuerung der Medikationen und nicht zu vergessen, das andauernde Schauen auf die Überwachungsmonitore. Es ist unfassbar, aber diese anfallenden Tätigkeiten an den PatientInnen erfordern stundenlange Arbeit. Ist man als Pflegepersonal nicht damit beschäftigt direkt an einer PatientIn zu arbeiten, trägt man die durchgeführten Schritte in die Patientenakte ein. Reicht der KollegIn in Vollschutz benötigtes Material und Zubehör, erwartet die Blutgasanalyse, stimmt sich mit ÄrztInnen ab und telefoniert mit Angehörigen. Neben diesem ganzen Arbeiten fällt der fast dauerhafte Blick auf die Überwachungsmonitore auf. An jedem Bett ist ein Monitor und in anderen Räumen sind noch weitere Monitore, um alle Betten auf einen Blick sehen zu können. Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung. Diese Monitore piepsen, wenn sich irgendein Wert stärker verändert – es piepst andauernd irgendwo. Neben dem andauernden Geräusch der ECMO. Das bedeutet noch lange kein Herzalarm, aber es bedeutet, dass man sich von der aktuellen Arbeit abwenden muss, um im anderen Raum nachzusehen, was los ist. Diese Aufgaben sind endlos, so wie das andauernde desinfizieren der Hände. Ich habe sicherlich noch viele andere Aufgaben vergessen, die erledigt werden müssen, aber ich hoffe, ich konnte ein Gefühl vermitteln – es ist viel, wirklich sehr viel zu tun. Es ist intensiv. Und in der Beschreibung fehlt der akute lebensbedrohliche Notfall. Diesen habe ich zum Glück nicht erlebt an den zwei Tagen.
Es braucht je nach Tätigkeit ein bis drei Personen, um der PatientIn zu helfen. Bei schwer übergewichtigen PatientInnen, die in Bauchlage gedreht werden müssen oder wieder zurück, braucht es auch mehr Personal. Und wäre das Ganze nicht schon anstrengend genug, passiert das in Vollschutz. Man hat einen Kittel an, je nach Ansteckungsgrad der PatientIn zusätzlich noch einen Plastikschutz und eine Schürze. Spannenderweise sind nicht mehr alle PatientInnen hoch ansteckend. Dadurch kann, z. B. bei der Visite, das Personal näher an die PatientInnen heran. Man trägt zwei Paar Handschuhe – eine FFP3-Maske, zum Glück mit Auslassventil, ein Haarnetz und eine Brille. Ich selbst habe knappe vier Stunden in dieser Montur gesteckt und “nur” fotografiert. Ich habe keine körperlich schwere Arbeit verrichtet und es war schon nach 30 Minuten sehr anstrengend. Man ist in seiner gesamten Bewegung eingeschränkt. Man schwitzt und die Kleidung atmet nicht. Doppelte Handschuhe lassen einen weniger gut fühlen und greifen. Das Haarnetz, so dünn es auch wirkt, lässt einen viel schlechter hören und die FFP3-Maske macht jeden Atemzug extrem schwer. Und dann muss man sich gut überlegen, wie lange man ohne Wasser trinken und ohne Toilette auskommen kann. Das Personal verbringt zahlreiche Stunden in dieser Schutzkleidung. Was das wirklich bedeutet, kann man sich erst vorstellen, wenn man es selbst mal anhatte.
Corona und die Windmühlen
Herzerwärmend ist die Fürsorge durch das Personal – man sieht eine große Hingabe und einen liebevollen Umgang mit den Patientinnen. Alle habe ich als stets lächelnd, freundlich und sehr umsichtig wahrgenommen. Ich habe auch viele spannende und ehrliche Gespräche mit PflegerInnen führen dürfen.
Seit 20 Monaten muss Pflege- und Ärztepersonal vielen Menschen beim Sterben zusehen, die über Wochen eine extreme Betreuung erfahren. Die Medizin kann nur symptomatisch arbeiten und das Personal ist an der Grenze des machbaren. Am Ende wird dieser Kampf sehr häufig verloren – und Angehörigen mitgeteilt, dass man es leider nicht geschafft hat. Diese Machtlosigkeit in der Behandlung, die Ernüchterung darüber, dass es noch lange so weitergehen wird, ist zu spüren und zeigt sich, wenn man nachfragt und zuhört. Einige PatientInnen lagen seit 45 Tagen auf Station bei einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, die Station nicht mehr lebend zu verlassen. Dieses Gefühl spürt man an diesem Ort – bei der Visite und bei den Gesprächen. Aber es gibt auch diese vereinzelten Wunder, die ungemein motivieren. Es gibt zwei Wände mit Dankesschreiben von Menschen, die wieder genesen sind und von Menschen, die einfach diese Arbeit wertschätzen wollen. Das ist wunderschön und den ganzen Aufwand wert, sagen mir einige PflegerInnen.
Mein vorherrschendes Gefühl nach zwei Tagen auf Intensiv ist größter Respekt vor dieser Leistung des Personals. Die Metapher gegen Windmühlen kämpfen könnte treffender nicht sein und ich vermag mir nicht vorzustellen, wie es sein muss seit 20 Monaten diese Belastung körperlich und vor allem seelisch auszuhalten. Ich finde ein “Danke”, an alle die in diesem Sektor arbeiten ist mehr als angebracht. Und lasst euch nicht unterkriegen von den Menschen da draußen, die es leugnen, eure Arbeit nicht wertschätzen und sogar so weit gehen euch zu beschimpfen und körperlich anzugreifen. Das sind nur vereinzelte Menschen, die nicht wissen, wohin mit ihrer Emotion, in dieser extrem anstrengenden Zeit. Es sind wenige und sie sind einfach “nur” laut, aber kein Spiegel der Gesellschaft. Der Spiegel sind über 70 Prozent geimpfte Personen!